Die Hauptstadt von Robert Menasse

Wir besprechen dieses Buch am 11. Juni bei Alicia in Lewes.
Wir besprechen dieses Buch am 11. Juni bei Alicia in Lewes.
In diesem Roman lassen sich eine Ich-Erzählerin aus Stuttgart und ihre Schwester von einem Mann namens Apostoloff durch das Heimatland ihres Vaters kutschieren, der ihnen die Schätze seiner Heimat zeigen möchte. Zu dieser Fahrt kommt es weil Urnen von 19 verstorbenen Exil-Bulgaren aus Stuttgart nach Sofia überführt werden sollen. Diese Idee fanden wir alle brillant. Auch einige andere Aspekte dieses Romanes sind interessant und es gibt viele sarkastische und humorvolle Stellen, denn die Ich-Erzählerin spuckt Gift und Galle. Der Stil ist zwar poetisch und die Autorin schreibt auf einem hohen sprachlichen Niveau, was viele von uns schätzen, aber einige Teile waren schwierig zu verstehen.
Das Buch war gleichzeitig eine Art Reisebericht, eine Familiengeschichte mit Fokus auf enttäuschte Vaterliebe, und eine Abrechnung mit der der kommunistischen Diktatur, die sich verheerend auf das Land auswirkte und die bis in alle Lebensbereiche vorgedrungen ist. Da die Autorin einen bulgarischen Vater hatte und die Mutter Deutsche war ist anzunehmen, dass es in diesem Buch auch viele autobiographische Details gibt.
Die Autorin rechnet mit dem Vater und seinem Land mit Hasstiraden ab und es gibt drei narrative Ebenen die leider nicht getrennt erzählt werden, sondern immer abrupt abwechseln und deshalb ist es sehr schwierig, den roten Faden nicht zu verlieren, besonders wenn man kein Muttersprachler ist. Diejenigen, die sich für die Hörversion entschieden haben, hatten auch Probleme mit dem schwäbischen Akzent. Für uns leider dieses Mal keine genussreiche Erfahrung.
Wir besprechen dieses Buch am 16. April bei Rand.
Wir haben vor 19 Jahren das erste Buch von Sven Regener gelesen und es hat uns gut gefallen. Einige von uns haben auch den Film gesehen. Deshalb wollten wir wieder einmal etwas von diesem Autor lesen und haben uns für “Wiener Straße”entschieden, da dieses Buch 2017 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Im Inhalt geht es um ein paar Tage in Berlin Kreuzberg Anfang der 80-Jahre. Zu dieser Zeit wurden in Westberlin massenhaft Altbauten “entmietet”, die abgerissen werden sollten. Es waren Studenten, Aussteiger und Punker, die die leerstehenden Häuser besetzten und anfingen, sie wieder instand zu setzen. Es gab auch Junkies und Ausschreitungen zu dieser Zeit, aber das wurde in diesem Buch überhaupt nicht erwähnt.
Im Grunde genommen dachten viele von uns beim Lesen des Buches an die amerikanische Serie “Seinfeld”, denn es gab eigentlich keine richtige Handlung. Das Thema Kunst und die Frage, was Kunst eigentlich ist, wurde angeschnitten, aber eigentlich geht es um Nichts. Im Mittelpunkt des Buches stehen Erwin Kächele, der gerade mit seiner Familienplanung beschäftigt ist und seine (dummen) Freunde bzw. Bekannten, die er aus seiner Wohnung ausquartieren will. Einige von ihnen arbeiten in seinem Cafe “Einfall” oder wollen dort arbeiten. Es gibt zahlreiche witzige Dialoge, es wird viel berlinert, aber es gibt keine tiefen Gespräche. Manche Passagen sind sehr humorvoll, andere Passagen wiederum etwas langatmig.
Die meisten von uns – aber nicht alle – haben das Buch köstlich gefunden. Wichtig war es, die Erwartungen runterzuschrauben denn dann konnte man es geniessen. Viele von uns haben sich für das ˙Hörbuch entschieden, aber das war nicht immer leicht. Am besten funktionierte es wenn man gleichzeitig das Buch las und und es sich anhörte, denn dann konnte man alles leicht verstehen und sich ein häufiges lautes Lachen nicht verkneifen.
Einige von uns kennen Berlin und auch Kreuzberg, waren zu dieser Zeit in Berlin und das hat viele schöne Erinnerungen hervorgebracht. Auf alle Fälle war die Mehrzahl von uns froh, wieder einmal etwas von Sven Regener gelesen zu haben.
Wir besprechen dieses Buch am 5. März bei Andy.
Was für eine wunderbare Idee, das Leben der Berliner Künstlerin Irene Wedell, die 2017 verstorben ist, als Inspiration für ein Buch zu verwenden! Das genau hat Martin Beyer mit dem Roman Tante Helene und das Buch der Kreise gemacht.
Einfühlsam beschreibt er die Hürden, die der Hauptcharakter Helene überwinden muss, um als unabhängige Künstlerin und Freigeist zu überleben und “den perfekten Kreis” zu finden. Diese Geschichte, in der das Leben der Nachkriegszeit, die sich wandelnde Einstellung der Nachkriegskinder und die Schwierigkeiten, die frei denkender Frauen in den 60-er und 70-er Jahren aufgrund der konservativen und traditionsgebundenen Gesellschaft durchmachen mussten, wird facettenreich dargestellt.
Sie wird allerdings nicht chronologisch erzählt, sondern beginnt mit dem In New York lebenden Neffen von Helene, der in den letzten Jahren eine Beziehung mit ihr aufgebaut hat und ihr gerade eine E-Mail schreibt, als ihn die Nachricht von Helenes Tod erreicht. Diesen Neffen, zusammen mit seiner Mutter und ihrer leiblichen Mutter hat Helene erst später in ihrem Leben kennengelernt. Denn als sie ihren politisch engagierten Freund heiraten will, erfährt sie, dass sie adoptiert wurde und dass ihre leibliche Mutter adeliger Herkunft und nach dem Weltkrieg in die USA ausgewandert ist. Ihre Adoptivmutter hatte nie den Mut, dies Helene zu sagen. Zwei Mütter, und eine problematische Beziehung mit beiden. Es ist viel, mit dem Helene fertig werden muss und die einzige wahre Hilfe kommt von ihrer alleinerziehenden Freundin Heidi.
Uns hat das Buch im Großen und Ganzen gefallen und wir haben bewundert, wie der Autor es aufgebaut hat. Wir fanden den Schreibstil gut und waren auch der Meinung, dass man gar nicht bemerkt, dass es ein Mann ist, der dieses Buch aus der Sicht einer Frau geschrieben hat. Einige Mitglieder haben sich gefragt, warum der Roman mit dem Charakter des Neffen Alexander beginnt, da sein Leben in New York ein bisschen klischeehaft wirkt, besonders für uns Amerikaner. Allerdings haben wir spekuliert, dass der Autor diese Vorgangsweise benutzte, da ja eigentlich beide, Helene und Alexander, den Erwartungen der Gesellschaft nicht entsprachen und dass es für beide schwierig war, ihren eigenen Weg zu finden. In diesem Sinne war Helene ein Vorbild für Alexander und half ihm indirekt, seine Träume zu verwirklichen.
Wir besprechen dieses Buch am 22. January 2023 bei Chris Z.
“Der grosse Sommer” von Ewald Arenz hat uns allen ausnahmslos gefallen. Wir haben diesen Coming-of-Age-Roman sehr genossen. Das Buch war leicht zu lesen und man konnte sich problemlos in das Leben des Protagonisten Frieder einfühlen, da die Geschichte aus seiner Sicht erzählt wird. Wir mochten den Schreibstil – er war poetisch, aber nicht übertrieben oder sentimental. Bis auf klitzekleine Ausnahmen schien alles authentisch
In diesem Buch tauchen wir in die Welt eines Teenagers ein, der im Laufe eine Sommers unglaublich viel erlebt und reift. Da er über den Sommer für zwei Nachprüfungen – Mathematik und Latein – lernen muss, kann er nicht mit seiner großen Familie wie jedes Jahr auf Urlaub fahren, sondern muss bei seinen Großeltern bleiben, wovon er überhaupt nicht begeistert ist. Nur seine ältere Schwester Alwa bleibt wegen eines Praktikums ebenfalls zu Hause. Aber dann kommt alles anders – er lernt seine Großeltern und dadurch auch die Kriegsgeneration besser kennen, verliebt sich in Beate, die er im Schwimmbad kennenlernt, und Frieder, Beate, Alwa und Frieder’s bester Freund Johann erleben so Einiges in ihrer Freizeit. Und nebenbei wird Frieder von seinem Großvater auf geschickte Weise geholfen, für seine Prüfungen zu lernen. Dieser bietet ihm sogar einen Job in der Klinik an, wo er als Arzt tätig ist.
Es sind zwar kleine, alltägliche Handlungen, die den Roman prägen, aber es geht in erster Linie um Beziehungen. Besonders beeindruckend diesbezüglich war, dass der Autor auch kleine Beziehungen in fünf oder sechs Sätzen gut beschreiben konnte; ein Beispiel ist die Beziehung des Protagonisten mit seinem jüngsten Bruder.
Dieses Buch hat uns Leser auch in unsere Jugendzeit versetzt und viele von uns begaben sich ebenfalls in eine „Reise der Vergangenheit.“ Und die Freiheit, die die Jugendlichen hatten fanden wir toll – Schwimmbad, Fahrrad fahren, weniger elterliche Überwachung und Angst und natürlich kein Handy, kein Internet und keine Social Medias:).
Drei Mitglieder versuchten zuerst das Hörbuch, aber zwei davon haben sich dann doch für das Buch entschieden. Irgendwie fanden sie die Hörversion etwas zu verwirrend, zumindest am Anfang.
Rundherum ein Genuss. Wir können das Buch nur empfehlen und haben schon beschlossen, nächstes Jahr wieder ein Buch von Ewald Arenz zu lesen.
Wir besprechen dieses Buch am 11. Dezember bei Jessica.
Tell” von Joachim B. Schmidt war ein guter Vorschlag!! Wir haben das Buch nicht nur zu Ende gelesen, sondern diese bewegende Geschichte einfach großartig gefunden. Der Autor machte aus der Tell-Saga, deren Schiller-Version einige von uns kannten, andere aber nachlesen mussten, einen packenden Roman. Allerdings war Wilhelm Tell in diesem Buch kein Held, sondern ein getriebener, einfacher Mensch, der ständig kämpfen musste. Wir mochten den Schreibstil und das Buch war leicht zu lesen, obwohl einige von uns ein paar Wörter nachschlagen mussten. In die Geschichte wurden historische Ereignisse eingebaut und sie wurde von der Perspektive verschiedener Personen erzählt; von Walter, Tells Sohn, Wilhelms Frau Hedwig, die einst mit seinem Bruder verheiratet war, von Tells Mutter, Hedwigs Mutter, von Gessler, dem Vogt und Harras. Allerdings war das für diejenigen, die sich für die Hörversion entschieden haben, am Anfang etwas verwirrend, da nur eine einzige Stimme verwendet wurde. Eine Erklärung am Anfang, dass die Perspektive einer bestimmten Person geschildert wird, wäre hilfreich gewesen.
Einige von uns fanden, dass das Buch fast wie ein Film ablief, es gab viele Andeutungen, alles entwickelte sich langsam und es war trotzdem spannend. Nach der Szene mit dem Schuss las sich das Buch fast wie ein Thriller – noch spannender und alle Fäden liefen zusammen.
Joachim Schmidt hat so viele Themen behandelt – Schuld und Sühne, Kindesmissbrauch, Macht, Tyrannei und Unterdrückung, die Verachtung anderer Menschen und den Hass auf die Bauern.
Wir haben auch über die Charaktere Harras und Gessler diskutiert. In Schillers Wilhelm Tell hat der Kaiser Hermann Gessler in Uri eingesetzt, um für Recht und Ordnung zu sorgen und dieser missbraucht seine Stellung als Landvogt, gibt und empfängt keine Liebe. Schmidt beschreibt Gessler als Schwächling, der mit seiner Stellung hadert, seine Frau und Tochter vermisst, sich aber vor anderen keine Blöße geben will und deshalb willkürlich und brutale Befehle erteilt.
Wir können dieses Buch nur empfehlen und werden gerne wieder ein Buch von diesem Autor lesen!